Diese Projektseite wurde konzipiert und bearbeitet von der nGbK-Arbeitsgruppe „Klassenfragen“ Frauke Boggasch, Silke Nowak, Anna Schapiro, Anna-Lena Wenzel, Norbert Witzgall im Rahmen des nGbK-Projektes „Klassenfragen“.
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KLASSENFRAGEN
Kunst und ihre Produktionsbedingungen
Im Arbeitsfeld Kunst treffen extreme Klassenunterschiede aufeinander. Dem Karriereversprechen des Kunstmarkts stehen die häufig prekären Lebensrealitäten und Produktionsbedingungen von Künstler*innen gegenüber. Hinter dem sichtbaren Glamour lauern verschwiegene Armut und Abhängigkeitsverhältnisse. Wir wollen darüber sprechen, wie stark die soziale Herkunft Zugänge und Karriere beeinflusst und die Kunstproduktion von ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital abhängig ist. Die Ausstellung beleuchtet strukturelle Benachteiligung und verhandelt Fragen, die Klassismus im Kunstfeld aufwirft.
Herkunft als Hindernis: Wenn die soziale Herkunft den Zugang zu Ausbildungsinstitutionen, Ausstellungsmöglichkeiten oder Förderungen erschwert, handelt es sich oft um Klassismus. Dieser kann sich in mangelnden finanziellen Ressourcen, fehlenden Kontakten und „Antragssprech-Kompetenzen“ oder dem Nicht-Beherrschen des in diesem Kontext üblichen Habitus ausdrücken. Oft verschränkt sich Klassismus dabei mit Diskriminierungsformen wie Sexismus, Rassismus und Ableismus.
Die Ausstellung beleuchtet, wie stark die künstlerische Praxis von den Folgen dieser Diskriminierungserfahrungen beeinflusst sein kann. Selbstzweifel und selbstmanipulative Strategien sind zwei Beispiele dafür, wie sich die Diskriminierungserfahrungen auf die psychische Gesundheit auswirken können. Oft wird nach individuellen Gründen für das eigene Scheitern gesucht, statt die ausschließenden Strukturen des Kunstsystems dafür verantwortlich zu machen und zu kritisieren. Die Ausstellung möchte diese Strukturen offenlegen und für die dahinterliegenden Zusammenhänge sensibilisieren. Deshalb haben wir Arbeiten ausgewählt, die klassistische Zuschreibungen aufgreifen und brechen – zum Beispiel in Form ironischer Überspitzungen oder Aneignungen.
Produktionsbedingungen: Wie kann man Kunst machen, wenn die Produktionsmittel dazu beschränkt oder nicht vorhanden sind, wenn dafür kein Raum zur Verfügung steht und die Vorstellung, sich ein Atelier leisten zu können, vermessen oder schlichtweg abwegig ist? Was, wenn man eine Arbeit geplant hat, diese aber aufgrund mangelnder Ressourcen nicht realisieren kann? In der Ausstellung werden Werke präsentiert, die die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen im Kunstfeld verhandeln und dokumentieren. Exemplarisch stehen dafür Produktionen, die aufgrund fehlender Ressourcen im Entwurfsstadium verblieben sind. Ein weiteres Beispiel sind Künstler*innen, die auf „arme“ Materialien oder standardisierte Formate zurückgreifen oder sich zum Beispiel aufgrund mangelnder Lagermöglichkeit in der Größe der Arbeiten beschränken.
Kunstmarkt-Wahnsinn: Das Arbeitsfeld Kunst ist durch eine paradoxe Gleichzeitigkeit geprägt: Es gibt die große Hoffnung auf eine glänzende Karriere im Kunstmarkt. Doch die meisten Künstler*innen arbeiten unter prekären Bedingungen und finanzieren sich durch Jobs auf Mindestlohn-Niveau. Armut wird verschwiegen und gleichzeitig fetischisiert. Trügerische Erzählungen wie die vom „Tellerwäscher zum Millionär“ werden auch in der Kunst munter weitergesponnen. Die Ausstellung lenkt den Blick darauf, was diese Paradoxien mit den Künstler*innen machen. Sie stellt Arbeiten aus, die die „Klassenreisen“ vom unterbezahlten Galerieaufbaujob zum exklusiven Galeriedinner, von der kunstfernen Herkunftsfamilie zur Kunstbubble thematisieren. Dabei ist zu beobachten, dass die Wahrnehmung der eigenen Prekarität sehr subjektiv ist. Wie bedürftig ist man wirklich, wenn man ein Erbe erwartet oder eine Eigentumswohnung besitzt?
Leerstellen: Welche Künstleri*nnen bleiben aufgrund von Zugangsbeschränkungen unsichtbar? Worüber wird (aus Scham) nicht gesprochen? Eines der Tabuthemen, das in der Ausstellung offensiv adressiert wird, ist Altersarmut. Sie betrifft Künstler*innen wie Hannah Höch, die in der Sammlung der Berlinischen Galerie vertreten sind. Zahlreichen heute in Berlin lebenden Künstler*innen über 60 geht es ähnlich, wie ihre Bewerbungsbriefe um einen „Zuschuss zu Leben und Arbeiten“ während der Corona-Pandemie zeigen. Die Ausstellung präsentiert darüber hinaus Arbeiten von Künstler*innen ohne akademische Ausbildung oder festen Wohnsitz sowie von Künstler*innen mit Lernbehinderung oder mentaler Beeinträchtigung. Und sie macht Platz für Künstler*innen, die Systemwechsel erfahren haben – aufgrund von Migration oder Systemzusammenbrüchen wie in der DDR oder Ex-Jugoslawien.
Handlungsoptionen: Wie kann das Arbeitsfeld Kunst solidarischer werden? Wie sehen widerständige Praxen aus, die Diskriminierungsformen verschränkt denken? Der Ansatz, das Kunstfeld auf Klassismus hin zu befragen, mündet in Fragen nach Handlungsoptionen und Lösungsvorschlägen. Dazu zählen Bemühungen, Produktionsbedingungen transparent zu machen ebenso wie die Entscheidung, nur noch im Kollektiv zu arbeiten und dem idealisierten Bild des*der (genialen/individualisierten) Künstler*in gemeinschaftliche Arbeitsweisen entgegenzustellen.
Dabei ist klar: Klassismus wirkt in allen Bereichen der Gesellschaft und sollte umfassend benannt und kritisiert werden. In dieser Ausstellung beginnen wir damit, indem wir einen besonderen Fokus auf das Kunstfeld legen.
Die Ausstellung wird um ein Filmprogramm im IBB-Videoraum ergänzt. Begleitend finden ein Veranstaltungsprogramm und ein Workshop statt.
Das Projekt ist eine Kooperation mit der nGbK und der Berlinischen Galerie, in deren Räumlichkeiten die Ausstellung realisiert wird.
nGbK-Arbeitsgruppe:
Frauke Boggasch, Silke Nowak, Anna Schapiro, Anna-Lena Wenzel, Norbert Witzgall
Gefördert durch:
LOTTO-Stiftung Berlin und die Senatsverwaltung für Kultur und Europa (bis Ende Dezember 2022)
Künstlerische Beiträge wurden von der Kemmler Kemmler GmbH unterstützt (bis Ende 2022).
This project page was conceived and edited by the nGbK working group "Class Issues" Frauke Boggasch, Silke Nowak, Anna Schapiro, Anna-Lena Wenzel, Norbert Witzgall as part of the nGbK project "Class Issues".
CLASS ISSUES
Art Production In and Out of Precarity
Extreme class differences collide within the field of art. The promise of an art-world career is often accompanied by lived realities and conditions of production entrenched in precarity; behind the glamourous image of the artist lurk shrouded poverty and relations of dependence. We want to talk about how strongly social background influences access and careers, and how art production is largely dependent on economic, social, and cultural capital. The exhibition sheds light on structural disadvantages and negotiates questions that erupt within the field of art due to the effects of classism.
Origin as obstacle: When social background impedes access to educational institutions, exhibition opportunities, or funding, classism is usually at play. It rears its head via a lack of financial resources or contacts, insufficient knowledge of application jargon, or a failure to master the habitus customary in this context. Classism is often intertwined with forms of discrimination such as sexism, racism and ableism.
The exhibition illuminates how strongly artistic practice can be influenced by the consequences of these forms of discrimination. Self-doubt and self-manipulative strategies are two modes of behavior that exemplify the negative impact experiences of discrimination can have on mental health: people often attribute failure to their own personal shortcomings rather than finding responsibility within the exclusionary structures of the art system ripe for critique. The exhibition aims to expose and raise awareness of these often-hidden interrelations. Therefore, we have selected works that both take up and break with classist ascriptions by means of irony and appropriation.
Conditions of Production: How can one make art when the means of production are limited or non-existent, when there is no space available and the idea of being able to afford a studio is presumptuous or simply absurd? What of those who have conceived of a work that can never be realized due to scarce resources? The exhibition presents works that negotiate and document the precarious working and living conditions within the art field. Exemplary in this regard are productions that remain sketches due to a lack of resources, as well as scenarios where artists resort to "poor" materials or standardized formats, or where the size of an artwork is constricted due to a lack of storage space.
Art Market Derangement: The field of art is characterized by a paradoxical simultaneity. While hoping for a brilliant career in the art market, most artists work under precarious conditions and finance themselves through jobs at minimum-wage level. Poverty is both kept out of sight and at the same time fetishized. Illusive “rags-to-riches” tales continue to be blithely spun. The exhibition draws attention to how these paradoxes control working artists. It exhibits positions that address “class-switching” from underpaid gallery install jobs to exclusive gallery dinners, from the family of origin far removed from art to the art bubble. It can be observed that one’s perception of their own precarity can be quite subjective. How much need can one claim is one really if they’re expecting an inheritance or own a condominium?
Areas of Neglect: Which artists remain invisible due to barriers to entry? What remains unspoken (out of shame)? One of the taboo topics that is directly addressed in the exhibition is poverty in old age. It concerned artists like Hannah Höch who are represented within the collection of the Berlinische Galerie, and it continues to concern many today, as noted in the exhibited appeals of artists over 60 affected by the Corona pandemic and applying for a subsidy to live and work. The exhibition also presents works by artists without academic training or a permanent home, as well as by artists with learning disabilities or mental impairments. And it makes space for artists who have experienced system change due to migration or collapsed political systems, as in the GDR or former Yugoslavia.
Options for Action: How can the field of art become more rooted in practices of solidarity? Recognizing forms of discrimination as intertwined prompts what sort of practices of resistance? Approaching the field of art with a lens onto classism leads to questions focused on options for action and proposals for solutions. These include efforts towards making production conditions transparent as well as decisions taken to only work collectively, countering the idealized image of the (ingenious/individualized) artist through modes of collaboration.
This much is clear: classism affects all areas of society and ought to be thoroughly named and called for critique. In this exhibition, we begin by placing a special focus on the field of art.
The exhibition concept incorporates information within the labels concerning the social background and working and living conditions of the exhibitions’ participants. This includes specifications about the professions of parents, the number of grants applied for, or the side jobs juggled in parallel with one’s artistic practice. Some of the exhibiting artists provided such contextual information; others chose not to.
In the case of artists already deceased, the current comparable market value to the works shown in the exhibition is indicated, underlining the paradoxical simultaneity of precarious living alongside and within mechanisms designed to create value.
Class Issues will be complemented by a film program in the IBB video room at Berlinische Galerie, as well as by a program of events and workshop aimed at expanding the themes taken up in the exhibition.
The project is a cooperation of the neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) and the Berlinische Galerie.
nGbK project group:
Frauke Boggasch, Silke Nowak, Anna Schapiro, Anna-Lena Wenzel, Norbert Witzgall
Funded by:
LOTTO-Stiftung Berlin and the Senatsverwaltung für Kultur und Europa (until the end of December 2022).
Artistic contributions supported by Kemmler Kemmler GmbH (until the end of 2022).